Dominik Wlaznys Abschneiden bei der Präsidentschaftswahl wird den um die gleichen Wählergruppen buhlenden Parteien links der Mitte, also Grünen und SPÖ, zu denken geben.

Foto: Christian Fischer

Die Dynamik der Ereignisse überraschte selbst gut informierte Auskenner. Parteichef Werner Faymann werde schon nicht um sein Amt zittern müssen, prognostizierte der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik nach dem desaströsen Abschneiden des SPÖ-Kandidaten Rudolf Hundstorfer bei der Bundespräsidentenwahl 2016 in einem Radio-Interview. Weit gefehlt: Zwei Wochen später war Faymann, damals auch noch Kanzler, Geschichte.

Die von Ennser-Jedenastik selbst erzählte Anekdote zeigt: Die parteipolitischen Auswirkungen einer Präsidentenwahl sollten nicht leichtfertig unterschätzt werden. Könnte auch das Ergebnis vom Sonntag Beben auslösen?

Man bräuchte schon sehr viel Fantasie, um aus der diesmaligen Kür des Staatsoberhauptes wieder einen Kanzlersturz abzuleiten. Das liegt zuallererst daran, dass sich die große Regierungspartei aus der Wahl herausgehalten hat. Angesichts der erwarteten Chancenlosigkeit bei hohen Kosten schickte die ÖVP gleich gar niemanden ins Rennen, der hätte scheitern können. Auf eine Wahlempfehlung verzichteten die Türkisen ebenfalls, Regierungs- und Parteichef Karl Nehammer wünschte Titelverteidiger Alexander Van der Bellen aber "alles Gute".

Kein Präsident, der drangsaliert

Das war vermutlich nicht geheuchelt. Zwar war der Amtsinhaber nicht immer nur nett zur ÖVP; so schaltete er das Straflandesgericht ein, um vollständige Aktenlieferungen des türkis geführten Finanzministeriums an den Untersuchungsausschuss zu garantieren. Doch letztlich kann sich eine Regierungspartei in ohnehin misslicher Lage keinen neuen Präsidenten wünschen, der die Koalition so drangsaliert, wie VdB-Konkurrenten drohten. "Bisher", sagt Ennser-Jedenastik, "ist die ÖVP mit Van der Bellen nicht schlecht gefahren."

Das gilt naturgemäß noch viel mehr für die Grünen, politische Heimat des Amtsinhabers. Dass sich dieser bereits im ersten Wahlgang dank einer Mehrheit jenseits der 50 Prozent weitere sechs Jahre in der Hofburg gesichert hat, erspart dem kleinen Koalitionspartner überdies eine Menge Geld: Hätte sich Van der Bellen in einer Stichwahl mit dem vom FPÖ-Kandidaten Walter Rosenkranz repräsentierten rechten Lager matchen müssen, hätten die Grünen noch einmal viel mehr für die Kampagne springen lassen müssen als die bisher auf der VdB-Homepage angeführten rund 1,85 Millionen an Geld- und Sachspenden der Bundes- und diversen Landesparteien.

Außerdem wird der Sieg im ersten Durchgang der Regierungspartei einen moralischen Schub geben, der ihr zuletzt bei der Tiroler Landtagswahl versagt geblieben ist – viel mehr aber schon nicht. Zu sehr unterscheiden die Wählerinnen und Wähler zwischen den unterschiedlichen Ebenen im Staatsgefüge.

Ein Problem für die Ampel?

Weiterreichende Folgen als das Resultat des alten und neuen Herrn in der Hofburg könnte aber das Abschneiden der Verlierer auf die Bundespolitik haben. Die im Parlament etablierten Parteien müssen sich fragen: Kann aus den Newcomern lästige Konkurrenz für die kommende Nationalratswahl erwachsen?

Der Achtungserfolg von Dominik Wlazny alias Marco Pogo wird den um die gleichen Wählergruppen buhlenden Parteien links der Mitte, also Grünen und SPÖ, zu denken geben. Das gleiche gilt für die Neos: Laut Wählerstromanalyse bestand die größte Wählergruppe des Bierpartei-Gründers aus Menschen, die bei der Nationalratswahl ihr Kreuz bei Pink gemacht hatten.

Gut acht Prozent erreichte der Bierpartei-Gründer trotz völlig unpräsidentieller Anmutung unterm Strich– offenbar kam seine amateurhafte Art bei vielen Jungen als erfrischend, weil establishmentfern rüber. Für den Einzug in den Nationalrat reichen bereits vier Prozent, und selbst bei Verfehlen dieser Marke könnte die neue Kraft zum entscheidenden Faktor werden. Wenige Stimmen mehr oder weniger können darüber entscheiden, ob sich eine Ampel aus SPÖ, Grünen und Neos ausgeht.

Ob Wlazny derartige Ambitionen hegt, ist noch nicht heraußen. Aus dem "halblustigen" Wahlkampf schließt Experte Ennser-Jedenastik: "Die Bierpartei dürfte sich noch nicht entschieden haben, wie ernst sie sein will."

Die Kraft des rechten Lagers

Die ÖVP wird mehr das Ergebnis auf der Gegenseite des Spektrums interessieren: je stärker das rechte Lager, desto größer die Verlockung und wohl auch der innerparteiliche Druck, wie zu Sebastian Kurz’ Zeiten auf das Ausländerthema zu setzen. Was der Sonntag diesbezüglich lehrt? Die allesamt eine mehr oder minder blaue Programmatik vertretenden Kandidaten Rosenkranz, Tassilo Wallentin und Gerald Grosz liegen um etwa zehn Prozent über den aktuellen Umfragewerten der FPÖ – allerdings ohne türkise Konkurrenz. "Der Schreck wird der ÖVP angesichts dieses Ergebnisses nicht in die Glieder fahren", prophezeit Ennser-Jedenastik.

Für die FPÖ bietet sich an, mit Wallentin noch einmal die Einigung über eine Kooperation zu versuchen – sofern der Anwalt Motivation und Geldgeber findet, den Blauen im Nationalratswahlkampf Konkurrenz zu machen. Kein Thema ist das bei Grosz, der schon wegen viel verbrannter Erde in seiner Ex-Partei wohl schwer integrierbar wäre. Dass der Abtrünnige auch bei der Nationalratswahl über fünf Prozent machen könnte, wenn dort der ebenfalls auf Brachialopposition getrimmte Herbert Kickl als blauer Spitzenkandidat antritt, ist fraglich.

Keine Empfehlung für weitere Wahl

Ob der schwächste der Rechtskandidaten Chancen auf eine politische Zukunft hat, hängt von einer Frage ab: Bietet eine neue Corona-Welle samt Lockdowns Michael Brunner und seiner MFG neue Munition? Wenn nicht, stehen die Zeichen schlecht: Der zerstrittenen Impfkritiker-Partei fehlen sowohl alternative Themen, die als Alleinstellungsmerkmal taugen, als auch die nötige Einigkeit.

Schlusslicht Heinrich Staudinger besetze als seltenes Exemplar eines staatskritischen Linken durchaus eine Nische, analysiert Ennser-Jedenastik: Doch weder die schrulligen Auftritte noch das Ergebnis vom Sonntag seien eine Empfehlung für weitere Wahlen. (Gerald John, 10.10.2022)